Der Countdown läuft28/6/2020 Der Countdown auf der Startseite von lukasreinhard.ch zählt munter rückwärts. Standen dort Anfang Mai noch 69 Tage, so sind es heute noch 12 Tage bis zum 1. Rheinquelle Trail in Sedrun. Damals Anfang Mai machte ich meine ersten Gehversuche mit Trailstöcken, lief auf den Mont Raimeux, eine Woche später auf das Plateau de Diesse und wiederum eine Woche später auf den Chasseral. Es folgten zwei Trainingsläufe im Gebiet Passwang / Wasserfallen und ein erster Härtetest an der Lenk. Gestern stand der abschliessende Trainingslauf auf den Pilatus auf dem Programm.
Und der fing schon mal gut an – im strömenden Regen … Der Blick aus dem Fenster im Zug zwischen Olten und Luzern traf noch kurz nach Sursee auf eine äusserst triste Landschaft. Wolkenverhangen lagen die Innerschweizer Berge vor mir. Den Pilatus konnte man bestenfalls irgendwo schemenhaft hinter den Nebelschwaden erahnen. Von der Rigi schaute knapp die Antenne zwischen den Wolken hervor. Der Regen peitschte unablässig gegen das Fenster und am liebsten hätte ich mich in den Speisewagen verkrochen und wäre dort bis Locarno sitzengeblieben. Dann aber ein erster Hoffnungsschimmer. Kurz vor Rothenburg liess der Regen nach und vereinzelt kam sogar der blaue Himmel zum Vorschein. Das Schlimmste schien zumindest für den Moment überstanden zu sein. Ursprünglich hatte ich vor, von Alpnach Dorf aus zuerst nach Südwesten zur Lütholdsmatt hochzulaufen und anschliessend Richtung Nordosten abzudrehen, um via Tomlishorn auf den Pilatus zu gelangen. Da dieser Weg aber sehr wahrscheinlich an einem solchen Tag kaum begangen wird und mich die Wetteraussichten nicht gerade zuversichtlich stimmten, schien mir ein Alleingang auf dieser Route unter den gegebenen Bedingungen zu riskant und ich entschied mich kurzerhand, stattdessen die Normalroute ab Alpnachstad zu wählen – in der Hoffnung, dass ich dort nicht gerade auf die befürchtete Völkerwanderung treffen würde. In Alpnachstad angekommen, schien immerhin das Wetter meinem Vorhaben wieder freundlicher gesinnt und ich musste sogar die Sonnencrème aus dem Laufrucksack hervorklauben. Mit mir stieg ein weiterer Passagier aus, der mich auf dem Perron auf mein Vorhaben ansprach. Wir kamen schnell ins Gespräch und er erzählte mir, dass er für den Megamarsch Köln trainieren würde. Da gilt es, eine Strecke von 100 km innerhalb von 24 Stunden zu absolvieren. Er war wie ein Wanderer gekleidet, ich wie ein Trailläufer. Beim vertiefteren Fachsimplen über Pace und Zielzeiten stellte sich aber heraus, dass wir wohl ziemlich ähnlich unterwegs waren. Er ein schneller Wanderer, ich ein langsamer Trailläufer. Er erkundigte sich, wie lange ich für einen Kilometer bergauf bräuchte. Ich erwiderte irgendetwas zwischen 10 und 12 Minuten, manchmal auch 15, je nach Steigung. Daraufhin meinte er, er sei durchschnittlich mit einem Fünfer unterwegs. Vor meinem geistigen Auge sah ich mein Gegenüber, welches rein optisch eine gewisse Ähnlichkeit mit Eugene Tackleberry aus den Police-Academy-Filmen nicht leugnen konnte, flink wie eine Berggämse mit einer 5:00-Pace den Berg hochjagen. Ein paar Sätze später stellten wir fest, dass ich von min/km sprach, während er in km/h rechnete. Fünf Kilometer müsse er in der Stunde schaffen, um die Cut-off-Zeit zu unterbieten. Nach ein paar Schlaufen Kopfrechnen konnte ich erleichtert aufatmen. Der gute Tack war also auch nur mit einer Zwölferpace unterwegs. Im Gegensatz zu mir aber doppelt so weit, wie ich bis jetzt je gelaufen bin. Hut ab, lieber Wandersmann. Mein Start am Fusse des Pilatus gestaltete sich indes weiter harzig. Meine Trailstöcke waren vom letzten Einsatz offenbar so schmutzig, dass sich die Teleskopstangen nur mit Mühe, viel Ächzen und einigen frühmorgendlichen Flüchen Richtung Alpnachersee auseinanderziehen und auf die richtige Höhe einstellen liessen. Dann ging es aber flott weiter. Zuerst auf einer Asphaltstrasse, kurz darauf dann auf schmalen Waldpfaden. Die befürchtete Völkerwanderung blieb aus. Trotzdem war ich erstaunt, wie viele Ausflügler sich gegen die Zahnradbahn und für den Fussweg entschieden hatten. Nach einer Weile überholte ich eine Familie aus Sri Lanka, deren Vater sehr gut Deutsch sprach. Er prophezeite mir, innerhalb von zwei Stunden auf Pilatus Kulm anzukommen. Er würde mir dann eine Verpflegung bereitstellen, wenn ich ihn und seine Familie auf dem Rückweg wieder kreuze. Ich antwortete ihm, dass ich eher mit drei Stunden rechnen und für den Rückweg auf die zuverlässigen und bequemen Dienste der Luftseilbahn-Gondelbahn-Verbindung nach Kriens zurückgreifen würde. Auf halber Strecke bei der Ämsigenalp schlängelte ich mich durch eine Kuhherde, die sich lieber auf dem Bergweg als auf den saftigen Wiesen aufhielt. Dies sehr zur Unterhaltung eines Wanderpaares, welches etwas oberhalb auf einer Bank sass und meinen Milka-Slalomlauf begutachtete. Danach wurde die Route auch optisch attraktiver. Dominierten im unteren Teil mehrheitlich langweilige Zickzackwege im Wald, hatte man oberhalb des Waldes nun eine schöne Sicht auf den Pilatus und sah auch schon das Ziel ganz oben auf dem Berg in Reichweite rücken. Eigentlich hatte ich vor, nach einer Stunde einen kurzen Verpflegungshalt einzulegen. Da ich aber gerade einen angenehmen Rhythmus gefunden hatte, wollte ich nicht unnötig anhalten. Nach 1:30 h drängte sich eine kleine Stärkung aber immer deutlicher auf und ich griff zum Energy-Gel, welches ich als Werbegeschenk an einem der letzten Corona-Läufe erhalten hatte. Marke und Vertrieb möchte ich an dieser Stelle nicht erwähnen, ebenso wenig den Veranstalter, der diese Dinger abgegeben hat, denn das Zeugs war schlichtweg grauenhaft. Beim ersten Happen zog sich so ziemlich alles zusammen. Entsetzt las ich auf der Packung, welche Geschmacksrichtung hier laut den zuständigen Laboranten ursprünglich vorgesehen war: Mandel-Honig-Zitrone. Und genau so schmeckte es auch. Einzeln alles leckere Zutaten, aber in dieser Mischung tödlich. So muss wohl Zementit schmecken. Den Gipfel ohne weitere Verpflegung zu erreichen, war also definitiv die bessere Idee. Ich war schon froh, dass ich den Schlabber aus dem Gel-Stick wenigstens bei mir behalten und meinen Weg ohne Magenkrämpfe fortsetzen konnte. Weitere Verpflegungsexperimente hielt ich definitiv für wenig zielführend. Kurze Zeit später kam ich unten beim letzten Aufstieg zum Pilatus Kulm an. Erst in der Mitte realisierte ich beim Blick auf die Uhr, dass eine Zeit unter 2 Stunden tatsächlich noch möglich war und der Familienvater im unteren Streckenteil mit seiner Einschätzung durchaus rechthaben könnte. Der Wandermodus war blitzschnell ausgeschaltet und ich fand mich im Endspurt zum Gipfel wieder. Eine letzte Kehre, ein paar Meter geradeaus, die Treppe hoch auf die untere Terrasse. Dann noch die letzten Stufen hoch zum Wegweiser Pilatus Kulm. Uhr stoppen. 1:58.44 – passt! :-) Nach einer kurzen Verschnaufpause kam mir das Wanderpaar von der Ämsigenalp entgegen und fragte erstaunt, ob ich jetzt das alles hochgelaufen wäre. Sie nahmen für den zweiten Teil die Zahnradbahn. Wir unterhielten uns kurz und dann war es Zeit, das völlig durchnässte T-Shirt zu wechseln und die Aussicht zu geniessen. Als ich eine Stunde später mit der Luftseilbahn die Talfahrt antrat, zogen wieder dicke Wolken auf und die Aussicht auf dem Pilatus hatte wohl für diesen Tag endgültig ein Ende gefunden. Ich aber bummelte zufrieden mit dem Zug nach Hause. Ob ich nun für den Rheinquelle Trail bereit bin? Keine Ahnung. Das wird sich letztlich am 11. Juli herausstellen. Nach den Berglauftrainings der letzten zwei Monate bin ich aber zuversichtlich, diese Herausforderung zu packen. Letztlich soll es ja genau das sein – eine Herausforderung. Wenn in dieser Saison schon kaum Rennen stattfinden und das Tempo stark gelitten hat, so kann ich die Situation wenigstens dazu nutzen, neue Wege zu gehen. Und diese neuen Wege waren vom ersten Schritt am Fuss des Mont Raimeux bis zur letzten Stufe auf der Treppe des Hotels Pilatus Kulm ein Riesenvergnügen. Nun bin ich hungrig auf die Fortsetzung in Sedrun. 12 Tage, 20 Stunden, 10 Minuten zeigt der Countdown noch an.
0 Kommentare
Hinterlasse eine Antwort.Autor
Andere Läufer führen Reflexionsgespräche mit ihrem Trainer - ich schreibe Blog-Beiträge zur mentalen Verarbeitung des Gelaufenen. Archiv
Dezember 2020
Kategorien
|